WINTERJOURNAL

Werkstatt für Theater
PREMIERE 14. Oktober 2015

"DU DENKST, das wird dir niemals passieren, das kann dir niemals passieren,
du seist der einzige Mensch auf der Welt, dem nichts von alldem jemals passieren wird,
und dann geht es los, und eins nach dem anderen passiert
dir all das genau so, wie es jedem anderen passiert."
(Paul Auster)

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BILDER ZUM PROJEKT

Nach dem gleichnamigen Roman von Paul Auster.
Schweizerische Erstaufführung
Ein Projekt der Werkstatt für Theater Luzern.

 

Mitwirkende

REGIE DRAMATURGIE Livio Andreina

SPIEL Michael Wolf

VIOLONCELLO Julien Kilchenmann

BÜHNE KOSTÜME Anna Maria Glaudemans 

LICHTDESIGN Martin Brun

GRAFIK Thomas Küng

FOTOS Sepp de Vries


RECHTE Rowohlt Theater Verlag, Hamburg
WINTERJOURNAL von Paul Auster ist im Rowohlt Verlag
und als Rowohlt E-Book erschienen.

Zum Stück

WINTERJOURNAL ist das Jubiläumsprojekt zum 25jährigen Bestehen der Werkstatt für Theater Luzern.
WINTERJOURNAL ist ein Blick zurück auf ein intensiv gelebtes Leben, ein «Inventar der Narben». Jede Narbe hat eine Geschichte, jedes Ereignis, jede Freude, jeder Unfall und Schmerz haben eine Spur hinterlassen.
WINTERJOURNAL ist eine Bestandesaufnahme, ein «Katalog von Sinnesdaten», ausgelöst durch körperliche Konfrontation mit der Welt. Sinnliche Phänomene werden zu philosophischen Statistiken.
Austers WINTERJOURNAL ist sehr persönlich und doch hat diese Autobiografie ein Fiktionales in dem Sinne, dass sich unsere eigene Biografie darin findet und spiegelt: da sind Altersgebrechen und Kindheitserinnerungen, Tod und Vergänglichkeit, Zufall und Schicksal, urbane Selbstironie, Relativität jeder Wahrheit.
Es ist diese persönliche Nähe, die das WINTERJOURNAL zu einem Stück Theater macht: ein Stoff und ein Material, das jeden etwas angeht, die Themen des Menschseins.
Auf der Bühne ein Schauspieler und ein Musiker am Cello. Sie erzählen, spielen. Sie verwandeln Austers Text in ein Leben im Jetzt – in ein Theaterleben.
Der Text widmet sich ganz dem menschlichen Körper, dem Körper, dem sensiblen, zerbrechlichen und empfindsamen Vehikel, das uns durch das Leben trägt und auch sichtbares Instrument der beiden Spieler auf der Bühne ist: die Unmittelbarkeit der Stimme im Körper Michaels und die intensive Körperlichkeit Juliens beim Erzeugen des Celloklanges verleihen dem WINTERJOURNAL Wucht und Dreidimensionalität.


Grundlage für das musikalische Konzept zum Stück ist die Sonate für Violoncello solo, opus 25 nr. 3 von Paul Hindemith und ein Motiv aus den Suite für Violoncello solo von Ernst Bloch.


Wir haben mit unserer Spielfassung die poetische Essenz des Romans in fünfzehn szenische Bilder verdichtet: 1 Deine nackten Füsse auf dem kalten Boden – 2 Das Inventar deiner Narben – 3 Was auf dich eindringt – 4 Der Feuerwehrmann –5 Schnee – 6 Dein Körper in grossen und kleinen Räumen – 7 Du möchtest wissen, wer du bist – 8 Tod der Mutter – 9 Du kannst dich nicht sehen – 10 Hände – 11 Marienkäfer und Sonneblumen – 12 Erinnerungen – 13 Das Ende des Lebens ist bitter – 14 In der Kälte stehen – 15 Eine andere Tür hat sich geöffnet.

Das Inventar deiner Narben

"Das Inventar deiner Narben, insbesondere der in deinem Gesicht, die du jeden Morgen, wenn du dich rasierst oder dir die Haare kämmst, im Badezimmerspiegel sehen kannst. Du denkst selten daran, aber wenn du es tust, begreifst du, es sind Zeichen des Lebens, die verschiedenen in dein Gesicht geschnittenen zerklüfteten Linien sind Buchstaben aus dem geheimen Alphabet, das die Geschichte dessen erzählt, der du bist, denn jede einzelne Narbe ist die Spur einer verheilten Wunde, und jede einzelne Wunde war das Ergebnis einer unerwarteten Kollision mit der Welt – soll heißen, eines Unfalls, also einer Sache, die nicht hätte zu passieren brauchen, denn ein Unfall ist per definitionem etwas, das nicht zu passieren braucht."
(Paul Auster)

Du kannst dich nicht sehen

"Du kannst dich selbst nicht sehen. Du weißt, wie du aussiehst, Spiegeln und Fotos sei Dank, aber wenn du dich draußen in der Welt unter deinen Mitmenschen bewegst, seien es Freunde, Fremde oder die innigst Geliebten, ist dein Gesicht für dich unsichtbar. Du kannst andere Teile von dir sehen, Hände und Füße, Schultern und Oberkörper, aber nur die Vorderseite, nicht die Rückseite, außer der Rückseite deiner Beine, wenn du sie in die richtige Position verdrehst, aber nicht dein Gesicht, nie dein Gesicht, aber letztlich – zumindest soweit es andere betrifft – ist dein Gesicht doch, wer du bist, die wesentliche Tatsache deiner Identität. Pässe enthalten keine Fotos von Händen und Füßen. Selbst du, der du jetzt seit zig-Jahren in deinem Körper lebst, wärst wahrscheinlich nicht in der Lage, deinen Fuß auf einem einzelnen Foto deines Fußes zu erkennen, zu schweigen von deinem Ohr, deinem Ellbogen oder einem deiner Augen in Nahaufnahme. Alles so vertraut im Kontext des Ganzen, aber absolut anonym, wenn es Stück für Stück betrachtet wird. Wir alle sind uns selbst fremd, und wenn wir irgendeine Ahnung haben, wer wir sind, dann nur, weil wir in den Augen anderer leben."
(Paul Auster)